Historisches Archiv der Region Biel, Seeland und Berner Jura

Ulrich Ochsenbein

Juragewässer - Region / Agglomeration Biel - Seeland - Stadt Biel - übrige Orte - Erste Juragewässerkorrektion - Inlandpolitik - Juragewässerkorrektionen - Lokalpolitik - Persönlichkeiten - Politische Aktivitäten - Räte - Schweizer Armee




Kindheit und Jugend

Ulrich Ochsenbein, vermutlich am 11. November geboren, wurde am 24. November 1811 in Schwarzenegg (Gemeinde Steffisburg) getauft – er war das zweite von zehn Kindern aus der Ehe zwischen dem Pferdehändler und Gastwirt Caspar Ochsenbein und der Magdalena Gasser. Die Familie zog 1818 nach Marnand (VD), bevor sie sich 1825 definitiv in Nidau niederliess. Der Entscheid zum Verbleiben im Seeländer Städtchen hatte vermutlich vor allem wirtschaftliche Gründe: Caspar Ochsenbein gelang es, mit dem „Stadthaus“ die grösste Gastwirtschaft Nidaus in Pacht zu nehmen, ausserdem übernahm er die Posthalterei. Eine Rolle spielten aber auch die guten Ausbildungsmöglichkeiten, nach dem Besuch der Stadtschule konnte nämlich das Bieler Gymnasium besucht werden.
Ulrich Ochsenbein nahm am häufigen Orts- und Sprachwechsel keinen Schaden, in der Stadtschule gehörte er bald zu den besten Schülern. Um Kindern aus weniger begüterten Schichten eine akademische Laufbahn zu ermöglichen, wurde damals oft eine Ausbildung zum Pfarrer empfohlen, und so entschied Ulrichs fromm gesinnte Mutter, den ältesten Sohn ins Bieler Gymnasium zu schicken. 1827 bis 1829 lernte Ochsenbein dort die alten Sprachen, besonderes Interesse zeigt er aber für historische Zusammenhänge. Ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend war Ochsenbein von militärischen Problemen fasziniert. So nutzte er die Schulferien, um zu Fuss eine Reise über Delsberg und Pruntrut nach Belfort zu unternehmen, wo er die Festungswerke studierte – die Festung Belfort hatte Napoleons Gegnern 1813/14 und 1815 lange Zeit erfolgreich Widerstand geleistet. In seiner Zeit als Gymnasiast brachte sich Ochsenbein selbständig das Reiten, Tanzen und Schwimmen bei.

Studium, politische Bildung, Heirat und Beginn der militärischen Laufbahn

Erst nach längerem Ringen mit seinen Eltern konnte Ochsenbein durchsetzen, nach dem Gymnasium nicht Theologie, sondern Recht zu studieren. Das Studium an der Berner Akademie begann im Mai 1830, wurde aber vom unerwarteten und frühen Tod seiner Mutter überschattet. Ochsenbein war tief betrübt, die Enttäuschung, die er ihr wegen seiner Berufswahl bereitet hatte, nicht mehr gutmachen zu können.
Bald darauf wurde die Eidgenossenschaft von der Pariser Julirevolution erfasst, und der Kanton Bern erlebte eine liberal geprägte Erneuerung. Die Diskussionen über eine neue bernische Verfassung interessierten Ochsenbein sehr, im Vordergrund standen aber das Studium und die materielle Sicherung seiner Existenz, denn Ochsenbein war Werkstudent. 1834, während des letzten Praktikums bei einem Studienfreund, lernte der angehende Jurist seine zukünftige Frau kennen, die Arzttochter Emilie Sury. Die Heirat wurde 1835 vorerst durch den Tod Caspar Ochsenbeins in Frage gestellt – der Witwer, der den frühen Tod seiner Frau nie verwunden hatte, hinterliess eine erhebliche Schuldenlast. Erst nachdem Ochsenbein die Sanierung der familiären Finanzen in überzeugender Weise an die Hand nahm und mit der Gründung einer eigenen Advokatur in Nidau das Fundament für solide finanzielle Verhältnisse legte, war der Weg zur Vermählung frei. Am 9. Oktober wurden Ulrich Ochsenbein und Emilie Margaritha Sury in der Kirche zu Bätterkinden getraut.
Parallel zu seinem Studium hatte Ochsenbein eine militärische Karriere angefangen, vorerst im bernischen Studentenkorps. 1832 beteiligte er sich am Feldzug nach Baselland, 1834 wurde er Unterleutnant der Artillerie.

Lokalpolitik in Nidau und die Ansiedlung von Uhrmachern

Ochsenbeins Advokatur lief von Anfang an gut, seine Verankerung im Städtchen wurde immer besser. Zur seit Jahren bestehenden Freundschaft mit Dr. Johann Rudolf Schneider kam ab 1835 jene mit den Brüdern Alexander und Carl Funk. Gemeinsam mit letzteren machte sich Ochsenbein daran, die politischen Verhältnisse in Nidau neu zu gestalten. 1837 wurde er zum Präsidenten des Einwohnergemeinderates gewählt, ein Jahr später präsidierte er auch den Burgerrat. Die Erneuerer sorgten vorerst für die Einführung einer Sekundarschule. Wo es politisch möglich war, setzten sie den Doppelspurigkeiten zwischen Burger- und Einwohnergemeinde ein Ende. 1842/43 zog sich Ochsenbein von seinen Präsidialämtern zurück. In einer für die Region zentralen Frage blieb er aber präsent – er schlug vor, die Ansiedlung von Uhrenmachern mit steuerlichen Begünstigungen zu fördern. 1843 fanden seine Vorschläge Gehör, und schon bald trug die beschlossene Standortpolitik erste Früchte. Ochsenbeins Idee fand auch Nachahmer - der Bieler Uhrenpionier Ernst Schüler griff sie auf und setzte durch, dass die Ansiedlung von Uhrmachern auch in Biel mit steuerlichen Anreizen gefördert wurde.

Die Mitarbeit an einem Jahrhundertprojekt – die Juragewässerkorrektion

Dr. Johann Rudolf Schneider setzte sich seit 1832 für eine Korrektion der Juragewässer ein. 1839 bewilligte der bernische Grosse Rat die Gründung einer Aktiengesellschaft, damit das Vorhaben Schubkraft erhalte. In einer ersten Phase sollte eine Vorbereitungsgesellschaft ihre Tätigkeit entfalten. Ochsenbein setzte sich mit Energie für diese Gesellschaft ein – dass von den 1839 insgesamt 600 placierten Aktien fast hundert in Nidau gezeichnet werden, war zu einem guten Teil sein Verdienst. In diesem Zusammenhang wurde er zum ersten Präsidenten der Vorbereitungsgesellschaft gewählt, musste diese Funktion aber wegen Überlastung bald abgeben.

Militärkarriere für die Umsetzung einer politischen Vision – die Schweiz als Bundesstaat

Zu Beginn der 1840er-Jahre spitzten sich die Gegensätze im Eidgenössischen Staatenbund mehr und mehr zu. In bisher liberal regierten Kantonen übernahmen konservative Kräfte die Macht, und Ochsenbein sah die Errungenschaften der Regeneration in Gefahr. Er kam zum Schluss, dass eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den Liberalen und Konservativen unausweichlich kommen werde. Aus diesem Grund forcierte er seine militärische Karriere: 1843 besuchte er die Generalstabsschule, 1845 wurde er zum Hauptmann im Generalstab ernannt.

1844 stand die Eidgenossenschaft vor einer Zerreissprobe. Als die konservative Regierung Luzerns die theologische Anstalt den Jesuiten anvertraute, provozierte sie das liberale Lager in höchstem Masse: Die „Societas Jesu“ galt nicht nur als Speerspitze der Gegenreformation, sie war auch das Instrument eines Papstes, der den Liberalismus pauschal verdammte.
Im Kanton Bern organisierten sich Kräfte, die sich mit den verfolgten Liberalen Luzerns solidarisierten und die auch bereit waren, ihnen mit militärischen Mitteln zur Rückkehr an die Macht zu verhelfen. Federführend dabei waren Persönlichkeiten wie Dr. Johann Rudolf Schneider, Johann August Weingart  und Ulrich Ochsenbein. Ochsenbein wurde zu einer führenden Figur im Anti-Jesuitenverein und bewährte sich als Volksredner, vor allem aber organisierte er eine Nationalgarde von Freiwilligen, die den Aufstand der Liberalen Luzerns unterstützen sollten. Ochsenbeins Engagement beruhte auf einer staatspolitischen Vision: Die Bekämpfung der Jesuiten in Luzern sollte letztlich der Umwandlung des Staatenbundes in einen Bundesstaat den Weg bahnen.

Im Januar 1845 schrieb Ochsenbein: „Wenn Centralisation nicht beliebt, wenn man keine Helvetik will, so will ich wenigstens, so viel an mir, einen Bundesstaat. Nordamerika gibt uns ein Vorbild, das wir nachahmen sollten. Nur dürfte die Cantonalsouveränität mehr in den Hintergrund zu stellen sein als die Staatensouveränität.“ Damit zeigte sich Ochsenbein als Realpolitiker, der die Konsequenzen aus dem Scheitern des zentralstaatlichen Experiments der Helvetik zu ziehen wusste.

Der Freischarenzug gegen Luzern

Die militärische Eskalation zu Beginn der Jahres 1845 war offenkundig. Luzern erwog einen Präventivschlag gegen den Aargau, auch der Kanton Freiburg machte mobil. Ochsenbein versuchte, die Berner Regierung für eine Offensive gegen Luzern zu gewinnen, gleichzeitig arbeitete er an der Mobilisierung von Freischärlern. Erst im letzten Moment setzten sich in der Berner Regierung die Gegner einer Intervention durch, doch Ochsenbein entschloss sich trotzdem, den Kampf zu wagen: Mit einer Streitmacht von etwa 4000 Freischärlern, sechs Kanonen und vier Haubitzen marschierte er am 31. März 1845 gegen Luzern.
Indem er die gegnerische Übermacht ausspielte – Luzern verfügte über 10 000 Soldaten und etwa 6000 Angehörige des Landsturms –, führte Ochsenbein die Freischärler bis vor die Tore Luzerns. Trotzdem scheiterte er: Erstens wurden die Freischärler nicht als Befreier empfangen, und so blieb auch der von den Liberalen Luzerns versprochene Aufstand in der belagerten Stadt aus. Zweitens hatte eine Einheit der Freischärler, von ihrem Anführer vorzeitig verlassen, den strategisch richtigen Ort zum Beschuss der Stadt verfehlt. Drittens blieb die versprochene Unterstützung der Freischaren durch 600 Zürcher aus. Ochsenbein entschied sich deshalb für einen geordneten Rückzug, ausserdem wollte er den Freischärlern riskante Nachtgefechte ersparen. Er konnte aber nicht verhindern, dass die Freischärler bei Malters schwer geschlagen wurden. Die Verluste beliefen sich schliesslich auf 104 Tote, 68 Verwundete und 1778 Gefangene, unter ihnen der Luzerner Liberale Robert Steiger, Oberst Rothpletz, August Weingart und Ochsenbeins Bruder Ludwig.
Nach dem Scheitern des Freischarenzuges wurde Ochsenbein aus dem Generalstab ausgeschlossen. Trotzdem blieb er in weiten Bevölkerungskreisen populär. Der seiner Gefangenschaft entkommene Führer der Liberalen Luzerns, Robert Steiger, stellte sich mit Entschlossenheit hinter ihn.

Der radikale Umschwung in Bern bringt Ochsenbein in die Regierung

Die liberale Berner Regierung, die von einer Unterstützung des Freischarenzugs abgesehen hatte, verlor nach dem Scheitern der Freischärler deutlich an Rückhalt in der Bevölkerung. Davon profitierten die Radikalen, die sich für eine Demokratisierung des Kantons stark machten, vor allem Ulrich Ochsenbein und Jakob Stämpfli. Letzterer gründete 1845 einen Vorläufer des Berner Freisinns, den Volksverein. Der neuen parteiähnlichen Organisation gelang es nicht nur, die Notwendigkeit einer Verfassungsrevision zum Thema zu machen, sondern auch, dieser Idee zum Durchbruch zu verhelfen: Im März 1846 wählte das Bernervolk der Männer vom 20. Altersjahr an aufwärts in zensusfreien und direkten Wahlen 139 Verfassungsräte.
Die neue, am 31. Juli 1846 angenommene Verfassung beseitigte das indirekte Wahlsystem und jegliche Wahlbeschränkungen, reduzierte die Mitgliederzahl der Regierung von 17 auf 9 und gab dem Volk das Recht, den Grossen Rat abzuberufen. Ausserdem war es von nun an möglich, sich von der Abgabepflicht des Zehnten und der Bodenzinsen loszukaufen. Weitergehende Forderungen Ochsenbeins waren im Verfassungsrat nicht durchgekommen.
Mit den Wahlen vom 16. August 1846 eroberten die Radikalen im Kanton Bern die politische Macht. Ochsenbein und Stämpfli wurden in die Regierung gewählt.

Das Amt mit der grössten politischen Hebelwirkung

Auf eidgenössischer Ebene bahnte sich erneut eine militärische Auseinandersetzung an. Sobald der Sonderbund der katholisch-konservativen Kantone der Öffentlichkeit bekannt war, beantragte Zürich der Tagsatzung, den Bund gemäss Bundesvertrag für aufgelöst zu erklären. Dank dem liberalen Umschwung in den Kantonen Genf und St. Gallen im Juli 1847 erhielt dieser Antrag eine Mehrheit. Die Tagsatzung verlangte zudem die Revision des Bundesvertrages und die Ausweisung des Jesuitenordens.
Es war kein Zufall, dass Ochsenbein in dieser Situation Präsident des Regierungsrates und damit Präsident der Tagsatzung war (für die Jahre 1847 und 1848 stand die Vorortsfunktion in der Tagsatzung dem Kanton Bern zu). Im Bewusstsein, dass für die Zukunft der Schweiz entscheidende Auseinandersetzungen bevorstanden, hatte Ochsenbein diese Funktion angestrebt, um sein politisches Gewicht so weit wie möglich auszuspielen.
Weil die Sonderbundskantone nicht bereit waren, ihren Bund aufzulösen, sondern auf eine militärische Auseinandersetzung hinarbeiteten, traf die Tagsatzung ihrerseits gewisse Massnahmen zu einer militärischen Intervention. Gleichzeitig setzte sich Ochsenbein dafür ein, dass die Revision des Bundesvertrages zu einem Bundesstaat mit Zweikammersystem führe, was den Interessen politischer Minderheiten besser Rechnung trug.

Der Sonderbundskrieg

Im Oktober 1847 zwangen die Kriegsvorbereitungen des Sonderbundes Ochsenbein dazu, die Kantone zur Bildung einer Eidgenössischen Armee zu bitten. Mit der Verbreitung von Nachrichten über Truppenbewegungen des Sonderbundes beschleunigte er die militärischen Vorbereitungen der Tagsatzung und die Wahl des Generals. Einem letzten Vermittlungsversuch liess er zwar eine Chance, aber es war ihm bewusst, dass die Gefahr des Eingreifens konservativer Mächte ein rasches Handeln verlangte.
Kurz nach der Wahl Guillaume-Henri Dufours zum General zeigte sich, dass der Sonderbund die Kompromissbereitschaft einiger Kantone in den Wind schlug, also den Krieg geradezu suchte. Der liberalen und radikalen Mehrheit in der Tagsatzung blieb somit nichts anderes übrig, als die gewaltsame Auflösung des Sonderbundes in die Wege zu leiten.
Der Sonderbundskrieg dauerte nicht einmal einen Monat. Nach Anfangserfolgen der katholisch-konservativen Truppen ergriff die fast 100 000 Mann starke eidgenössische Armee unter General Dufour die Initiative. Bereits am 14. November kapitulierte der isolierte Kanton Freiburg, am 24. November Luzern -  kurz zuvor war es der von Ochsenbein befehligten Reservedivision gelungen,  den Widerstand der luzernischen Truppen im Entlebuch zu brechen. Nur wenige Tage später kapitulierten die Innerschweizer Kantonen und das Wallis.
Dank der schonenden Kriegsführung Dufours forderte der Krieg nur etwas über 100 Todesopfer und knapp 500 Verletzte. Ochsenbein unterstützte diese zurückhaltende Kriegsführung. Wie Johann Philipp Becker berichtete, setzte er sich besonders in Malters dafür ein, von einer Rache für die Niederlage des Jahres 1845 abzusehen und die Bevölkerung zu schonen. Allerdings kam es trotzdem zu einzelnen Übergriffen, und in Schüpfheim trugen Alkoholexzesse zu erheblichen Sachzerstörungen bei.


Die neue Bundesverfassung

Die Tagsatzung konnte fortan ungestört an einer Revision des Bundesvertrags arbeiten – die Revolutionen in den umliegenden Staaten Europas liessen die Gefahr einer ausländischen Intervention praktisch auf Null sinken.
Die bisherigen Bundeszwecke „Behauptung der Unabhängigkeit gegen Aussen“ und „Handhabung der Ruhe und Ordnung im Innern“ wurden um den „Schutz der Freiheit und der Rechte der Eidgenossen“ und um die „Beförderung ihrer gemeinsamen Wohlfahrt“ erweitert. Ochsenbein setzte sich vor allem für den letztgenannten Bundeszweck ein, denn er konnte daraus die Forderung ableiten, dem Bund zusätzliche Kompetenzen zu erteilen. Insbesondere sollte er eigene Infrastrukturen und eine höheres Bildungswesen aufbauen können. Ochsenbein schlug weitere Bestimmungen vor, die eine gesellschaftliche Modernisierung ermöglichten, ohne die Verlierer des Sonderbundskrieges zu sehr zu demütigen: Einerseits hatten sich alle Kantonsverfassungen auf die Prinzipien der Rechtsgleichheit, der individuellen Freiheitsrechte und der Demokratie zu verpflichten, andrerseits sollten die Kantone dank der Einführung des Zweikammersystems einen gewissen Einfluss auf Bundesebene behalten. Er setzte sich in fast allen wesentlichen Fragen durch, einzig beim von ihm verteidigten freien Niederlassungsrecht wurden erhebliche Abstriche gemacht.
In den Volksabstimmungen vom Juli und August 1848 stimmten 15,5 Kantone für, 6,5 Kantone gegen den Verfassungsentwurf. Somit konnte die Tagsatzung am 12. September 1848 erklären, dass die Bundesverfassung angenommen worden sei.


Ochsenbeins politische Karriere im neuen Bundesstaat

Bei den ersten Nationalratswahlen im Oktober 1848 erzielte Ochsenbein in drei von sechs Wahlkreisen ein Spitzenresultat – so konnte er unter anderem dem in Genf gewählten, aber vom Regime Fazy ausgebooteten General Dufour zur Wahl in den Nationalrat verhelfen. Am 7. November wurde er zum Nationalratspräsidenten und damit zum Vorsitzenden der Vereinigten Bundesversammlung gewählt. Am 16. November erfolgte seine Wahl in den Bundesrat, die Ochsenbein nur annahm, wenn Bern zur Bundesstadt bestimmt werde. Aus demselben Grund favorisierte er die Wahl des Zürchers Furrer zum Bundespräsidenten – sein Kalkül sollte aufgehen, denn die Bundesversammlung kürte Bern zur Bundesstadt.

Bei der Departementsverteilung fiel Ochsenbein das Militärdepartement zu. Bevor er sich in diese Funktion einarbeitete, engagierte er sich für die Schaffung einer eidgenössischen Universität, die er zuvor in einer Motion verlangt hatte. Es gelang ihm, den Antrag durchzubringen – die Gründung eines eidgenössischen Polytechnikums, später ETH genannt, war beschlossene Sache. Im Militärdepartement prägte Ochsenbein ein Militärgesetz, von dem wesentliche Teile weit über ein Jahrhundert ihre Gültigkeit behielten – es wurden Rekrutenschulen geschaffen, und  periodische Wiederholungskurse sollten das erworbene militärische Können sichern. Der höhere Militärunterricht wurde Sache des Bundes, ebenso die Schulung der Instruktoren und der meisten Abteilungen des auf 105 000 Mann erweiterten Bundesheeres. Nur die Schulung der Infanterie verblieb bei den Kantonen. General Dufour bezeichnete Ochsenbeins Amtsführung über die ganzen sechs Jahre als ideal.

Der Konflikt mit den Radikalen im Kanton Bern

Auf eidgenössischer Ebene wurden Ochsenbeins Verdienste eher anerkannt als im Kanton Bern – zu vieles trennte ihn inzwischen von alten Kampfgefährten wie Jakob Stämpfli: Die Berner Radikalen hatten sich in der Auseinandersetzung um die Neugestaltung der Eidgenossenschaft für die Schaffung eines Zentralstaats eingesetzt, und nach dem Sonderbundskrieg begegneten sie Ochsenbeins Versöhnungspolitik gegenüber den Katholisch-Konservativen mit Misstrauen. Ein weiterer Riss bildete sich in Bezug auf die Aussenpolitik: Während die Berner Radikalen sich für eine Eidgenossenschaft einsetzten, die sich mit revolutionären Kräften in Europa verbündete, verteidigte Ochsenbein eine konsequente Neutralitätspolitik. Dabei spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass die Schweizer Armee im Zusammenhang mit ihrer Neuordnung noch nicht zweifelsfrei verteidigungsfähig war.

Ochsenbeins Nichtwiederwahl in den Bundesrat

Die Nichtwiederwahl zeichnete sich schon lange vorher ab. Schon im Jahr 1851 waren die Differenzen zwischen Ochsenbein und den Radikalen so erheblich gewesen, dass der Vorsteher des Militärdepartements sich bei den Nationalratswahlen auf einer konservativen Liste wiederwählen lassen musste – damals hatten sich auch Bundesräte bei Nationalratswahlen einem Popularitätstest zu stellen. Bald darauf kam es im Kanton Bern zu einer spektakulären neuen politischen Konstellation, die Ochsenbein selbst gefördert hatte. Die Radikalen um Jakob Stämpfli waren nämlich um 1854 bereit, mit ihren erbitterten Gegnern, den Konservativen um Eduard Blösch, eine Koalition einzugehen. Diese innerbernische Aussöhnung, so wünschbar sie auch war, bedeutete nichts Gutes für Ochsenbeins politische Zukunft: Auch anlässlich der Bundesratswahlen im selben Jahr trafen sich die Berner Abgeordneten der beiden Koalitionspartner
, und ihre Diskussionen über den Berner Vertreter im Bundesrat verliefen wie folgt: Die Radikalen stellten sich entschlossen gegen Ochsenbein, und die Konservativen ergaben sich schliesslich. Am 4. Dezember 1854 hatten die Berner Abgeordneten genug Einfluss, um Ochsenbeins Wiederwahl zu verhindern – an seiner Stelle wurde schliesslich Jakob Stämpfli gewählt.
Die Nichtwiederwahl traf Ochsenbein sehr. Sie war aber auch in materieller Hinsicht ein schwerer Schlag. Zur materiellen Absicherung der Familie sollte der abgewählte Bundesrat bereit sein, auch künftig ungewöhnliche Wege zu gehen.



Weiterführende Lektüre:

Rolf Holenstein, "Ochsenbein - Erfinder der modernen Schweiz", Echtzeit Verlag, September 2009




Autor: Christoph Lörtscher / Quelle: Diverse 2011